DJ Supermarkt alias Marcus Liesenfeld erzählt im Interview, wie er auf die Idee für seine Compilation-Reihe „Too Slow To Disco“ kam und welche Schwierigkeiten auftreten, wenn man Musik aus den 70ern wieder neu auflegen will
Auf der Bühne des Roten Salons am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz steht ein kleiner, alter, freundlicher Mann mit Gitarre und ist ergriffen von dem Applaus und dem Publikum, das wegen ihm an diesem Sonntagabend, dem 29. März 2015, gekommen ist. Ned Doheny war noch nie auf Tour in Deutschland, geschweige denn Europa. Kein Wunder, der amerikanische West-Coast-Sänger war bis vor ein paar Jahren auch kaum jemandem bekannt. Dabei veröffentlichte er in den 70er Jahren drei Alben, die so gut sind, dass sich mittlerweile alle fragen, warum der Sänger, – der mittlerweile auch schon 69 Jahre alt ist – nie berühmt wurde. Aber die Kombination aus Jazz, Soul, Funk und Disco war zur damaligen Zeit nicht angesagt. Im Gegensatz zu heute, denn jetzt steht er zum ersten und vielleicht letzten Mal auf einer deutschen Bühne und gibt seine 40 Jahre alten Songs zum besten; das Berliner Publikum schunkelt glücksbeseelt mit.
Dass Ned Doheny in Berlin ist, ist einem einzigen Mann zu verdanken: Marcus Liesenfeld. Der gebürtige Düsseldorfer spielte Ende der 80er Jahre in der Grunge-Band „Rose Garden“, war später Gründer des Labels Bungalow Records, auf dem in den 90er Jahren Stereo Total oder Siriusmo zum ersten Mal erschienen, und legt unter dem Pseudonym DJ Supermarkt seit 25 Jahren vor allem elektronische Musik auf. „Ich war schon in der Schule der, der auf den Klassenfahrten dafür gesorgt hat, dass meine Musik gelaufen ist, ohne dass ich darüber nachgedacht habe, dass man das damals DJ genannt hat. Musik war schon immer mein Leben.“
Musik wie ein Sonnenuntergang an der amerikanischen Westküste
Bekannt ist Liesenfeld (der zuhause übrigens „um die 10.000“ Platten zu stehen hat) mittlerweile vor allem für seine Compilation-Reihe „Too Slow To Disco“. Seit vier Jahren veröffentlicht er Platte um Platte Songs, die extrem groovy sind, aber eben zu langsam, um zu ihnen im Club zu tanzen. Es ist geschmeidige Musik von der amerikanischen Westküste, zu der man sich in bessere Welten aus pinken Palmen, hellblauen Wolken und goldgelben Stränden träumen kann. Vor allem aber ist es Musik, von der noch niemand vorher gehört hat (wie lange Liesenfeld auf der Suche nach Musik ist – übrigens nicht auf Flohmärkten und in Plattenläden, wie er mir verrät –, möchte man sich gar nicht vorstellen), die aber perfekt in eine Zeit passt, in der sich alle ein bisschen nach der Vergangenheit und mehr warmen, opulenten Gefühlen in diesen kalten weltpolitischen Zeiten sehnen. Noch bevor all die neuen hippen Berliner Cafés mit Makramehängern, Holzmöbeln, verchromten Leuchten und unverputzten Wänden den Look und Feel Kaliforniens zu imitieren suchten, sorgte Liesenfeld für die richtige Hintergrundmusik und erfand nebenbei die Mixe, die jetzt bei Urban Outfitters Kids zum Platten kaufen anregen sollen.
Interessanterweise sind es aber nicht nur die Kids, die die alten Songs wieder für sich entdecken. Liesenfeld hatte eigentlich aus einem ganz anderen Grund angefangen, Mixtapes zu machen. „Ich war ja in diesen Elektronikkreisen drin, von 4 Uhr bis 7 Uhr morgens Platten auflegen. Ich hatte überhaupt keine Lust mehr und war total fertig. Und für mich war diese Musik irgendwann am nächsten Tag die Möglichkeit wieder runterzukommen. Und lustigerweise, wie sich jetzt rausstellt, gibt es ganz viele DJs, die das am Tag nach dem DJ-Gig hören. Es ist ja gar keine DJ-Musik, weil’s ja viel zu langsam ist, aber es ist eine DJ-Musik für einen ganz anderen Anlass. Es ist Wahnsinn, wer mir bei Facebook alles schreibt. Ob das jetzt die Too Many DJs sind oder Boys Noize oder Peaches, wirklich alle diese Leute, die so stressige Sachen machen, benutzen das zum Runterkommen.“
Eine Schnitzeljagd in die 70er Jahre
Mittlerweile gibt es drei Ausgaben von „Too Slow To Disco“, am 30. Juni 2017 erscheint die vierte Ausgabe, an der Liesenfeld ein Jahr gearbeitet hat. Man möchte meinen, dass es einfach ist, Musik wieder herauszubringen, die schon mal veröffentlicht wurde, aber das komplette Gegenteil ist der Fall. „Das Wissen um die Platten ist zum Teil komplett verloren, weil die Plattenfirmen damals so oft den Besitzer gewechselt haben und die Kataloge so oft verkauft wurden; die Master sind bei vielen sowieso weg. Die Verträge finden die Plattenfirmen auch nicht mehr. Ich schicke also die Anfrage an das Label und das Label sagt: Kennen wir nicht, haben wir nicht. Dann muss ich ein Foto vom Cover, vom Logo und von der Bestellnummer machen und schick denen die neue Mail. ‚Doch habt ihr.’ Und die sagen: ‚Haben wir nicht im Computer. Sorry.’ Das ist bei der neuen Platte jetzt so viel passiert, dass es leider total lange gedauert hat.“ Auf der neuen Platte sind Songs drauf, die Liesenfeld eigentlich schon vor vier Jahren veröffentlichen wollte, aber die Inhaber der Rechte ausfindig zu machen und die Rechte an einem Song einzuholen, glich teilweise einer Sisyphosarbeit, weil oft nicht sofort klar ist, wem die Rechte überhaupt gehören und selbst der Künstler oft keine Ahnung hat.
Wenn ein Lied eine Lebensgeschichte erzählt
Diese Schnitzeljagd macht für Liesenfeld aber die besondere Bedeutung der Platte aus. „Ich habe schon durch absolute Zufälle Leute gefunden und wahnsinnig nette 70-jährige Typen und Frauen kennengelernt durch die Platte. Teilweise erzählen die mir dann ihre Lebensgeschichte. Das sind Leute, die teilweise nur eine Platte rausgebracht haben. Im Internet steht aber nicht, was die sonst noch so gemacht haben. Die erzählen mir dann, dass ihre eigenen Sachen nicht so erfolgreich gewesen sind, sie aber danach z.B. für Warner Songs geschrieben haben, vielleicht kennst du ja einige davon. Der eine heißt Live to tell. Der ist von Madonna. Und der andere ist Boogie Wonderland von Earth Wind and Fire. Das sind Leute, die sind Milliardäre! Ich würde sagen, dass 90% der Musiker auf Too Slow To Disco kein Erfolg mit dem Song gehabt haben, der auf der Platte drauf ist, aber später Millionen verdient haben.“
Wenn man sich mit Liesenfeld über sein kleines Liebhaberprojekt unterhält, dann merkt man, wie viel ihm das bedeutet und wie viele Geschichte er erzählen könnte. Ihm geht es nicht um Geld, dafür ist gerade die Rechteierei ein viel zu großes Verlustgeschäft. Ihm geht es um die Musik und um die Künstler, die ein Comeback verdient hätten. Wie Ned Doheny, der sich am Ende des Abends bei Marcus Liesenfeld bedankt, mit Tränen in den Augen, weil nach so langer Zeit jemand kommt, der liebevoll mit seiner Musik umgeht. „Ned Doheny ist ja der erste Song auf der ersten Platte, weil meine Liebe zu der Musik mit Get it up for Love anfing.“, sagt Liesenfeld. Fernab des Vergnügens, das er den Hörern mit seinen Compilations bereitet, ist das die eigentliche Magie der Platte und das kleine vinylene Denkmal, das Liesenfeld den Musikern gebaut hat.