„Hip Hop ist auch Jazz“ – Im Interview mit Jazzanova-Mitgründer Claas Brieler

Wenn man sich mit Claas Brieler unterhält, sollte man nicht allzu viel von seinem eigenen Musikwissen halten. Der gebürtige Hamburger schmeißt mit Genres, Namen, Jahreszahlen, Labels und Pressungen nur so um sich, dass einem vor lauter Details ganz schwindelig wird. Der Mitgründer des legendären Jazz-Elektronik-Labels Jazzanova sammelt allerdings auch Platten, seit er „15 oder 16“ Jahre alt ist und legt mindestens genauso lang mit ihnen auf – da kann schon mal einiges an Musikwissen zusammen kommen. Auch nach über 20 Jahren Jazzanova ist er als DJ noch immer ziemlich gefragt und als wir uns an einem Mai-Nachmittag zum Interview in seiner Berliner Wohnung treffen, scheint er noch etwas geschafft zu sein von der Nacht davor.

Warum sammelst du?

Das ist mein Arbeits- und Informationsmaterial. Ich sammele in dem Sinne nicht, um aufzubewahren, sondern das ist eine ständige Arbeits- und Werkzeugsammlung.

Wie viele Platten hast du mittlerweile?

Ich sage mal 15.000.

Wow. Müsstest du schonmal umziehen aufgrund der Größe deiner Sammlung?

Ja, ich hab die früher auch mehr verteilt. Ich habe immer noch ziemlich viele Platten in Hamburg und an diversen Arbeitsstätten. Da kommen locker nochmal 1000 zusammen. 

Wieviel Zeit verbringst du damit, eine Platte zu suchen?

Gestern Nacht bin ich verrückt geworden, weil ich da wirklich lange gesucht habe. Wir waren mitten drin im Tracklisting für unsere neue Compilation und ich wollte unbedingt dieses eine Stück finden und ich hatte das auch vor 2 oder 3 Wochen in der Hand. Meistens weiß ich wenigstens die Gegend, in der sie steht. Aber gestern bin ich durchgedreht und wenn ich Platten nicht finden kann, such’ ich bis zu zwei Stunden – durchgehend. Aber meistens 5 bis 10 Minuten und in der Regel finde ich sie in den ersten 2.

Hast du denn ein System?

Ja, verschiedene. Ineinander. Ich hab Musikgenres und innerhalb der Genres z.B. Länder oder Zeiten oder Stile oder Musiker und Labels. Ganz grob hab’ ich alte und neue Musik in zwei Regalen getrennt. Und dann hab ich ziemlich viele „gemischt“-Kästen, die sind ziemlich assoziativ, das sind die besten Kisten, das sind die aktuellen Sachen, mit denen ich am meisten arbeite.

Wie viele Platten kaufst du noch im Monat?

Jede Woche auf jeden Fall 10.

Und welche Platte hast du zuletzt gekauft?

Bunte oder schwarze Vinyl?

Schwarze. Die Presswerk-Leute sagen ja auch, dass schwarzes am besten hält.

Wie weit bist du schon mal gereist, um eine Platte zu bekommen?

In jedem Land, in dem ich bin, gucke ich nach Platten. Aber du meinst gezielt, um eine Platte zu suchen?

Ja!

Na wenn du so willst, weiß ich schon seit vielen Jahren, was ich vermutlich in den Ländern finden kann, weil ich schon viele Namen kenne. Ich suche aber gar nicht mehr die Platte, die ich im Kopf habe. Wenn ich die finde: Super. Aber toll ist z.B., wenn ich in Jakarta auf Indonesien über den Flohmarkt eiere und Platten aus den Philippinen finde. Und wenn das dann noch Platten sind, die ich gesucht habe… aber das passiert selten.

Wo suchst du nach Platten? Auf dem Flohmarkt oder im Plattenladen?

Nach alten Platten guck ich im Internet mittlerweile. Alte Platten kaufen ist wie Antiquitäten kaufen geworden, leider. Ich hole mir viele neue Platten oder kaufe mir im Internet besondere alte Platten, die man nirgendwo anders bekommt.

Was war deine teuerste Platte bisher?

Scheibenkleister. Um die Angabe drücke ich mich immer. [lacht] Früher war für mich die absolute Schallmauer 200 Pfund. Das hab ich auch nur einmal für so eine Brasil-Scheibe gemacht. Ich hab echt noch nicht so viele so teuer gekauft, ich überlege aber im Moment, ob ich das noch machen soll. Ich geb’ auf jeden Fall, ohne mit der Wimper zu zucken, 100 Euro für eine Platte aus, die ich haben will. Vor drei Wochen bekam ich eine Mitteilung von Discogs, dass eine Platte angeboten wird, die in meiner Want-List steht. Die kenn’ ich noch nicht mal lang und ich bin davon ausgegangen, dass ich sie niemals finden würde. Und da stand sie dann für 99 Dollar. Und eine andere Platte, die ich wirklich wirklich haben will, hat ein Deutscher gerade im Angebot, für 220 Euro. Die steht da aber jetzt schon zwei Wochen und ich hab sie noch nicht gekauft.

Welche ist das?

Henry Thomas And Rise. Das ist eine Modern-Soul-Nummer von 1975.

Was glaubst du, ist deine Sammlung mittlerweile wert?

Da sind jetzt schon viele sehr gute Platten drin, die teuer sind.

Welche Platte würdest du mir als Geschenk für jemanden empfehlen?

Oh, das ist eine gute Frage. Verdammt. Das ist schwer. [überlegt lange] Welche Platte man immer verschenken kann, ist Miles Davis, „Kind of Blue“. Wenn man die hat, bräuchte man keine andere Jazz-Platte mehr.

Wann hast du herausgefunden, wie gut Jazz und Elektro zusammenpassen?

Ha! Für mich ist das immer alles ein Ding gewesen. Obwohl nicht ganz, Ende der 80er habe ich elektronische Sachen noch nicht so richtig gut gefunden. Breakbeat hat mich dann erst wirklich reingeholt. Dann kam Chillout und Trip Hop. Downtempo, verschrobenes Zeug, klattschende Hip-Hop-artige Beats. Das war für mich alles Jazz. Hip Hop ist auch Jazz. Und die ganzen Detroit-Elektroniksachen sind alles Jazz für mich. Die ganze Stimmung hat mich schon immer total daran erinnert. Das war für mich immer das gleiche Gefühl, nur mit anderen Beats und Instrumenten sozusagen. Man kann natürlich sagen, dass beim Jazz ein Verrückter 25 Minuten improvisiert, während du bei Elektro so eine Monotonie hast. Aber wenn du ein solierendes Instrument wie das Saxophon, die Gitarre oder das Klavier hast und da den richtigen Rhythmusteppich drunterlegst, dann kann das einen ähnlichen Effekt haben.

Also wenn du dich für immer entscheiden müsstest „Jazz oder Elektro?“ Dann wärst du gar nicht vor das Problem gestellt, weil’s für dich eins ist.

Es ist eins, einmal das. Es würden aber auch auf jeden Fall weniger elektronische Platten übrig bleiben, wenn ich tatsächlich wählen müsste. Dann würden auf zehn Jazz-Platten vier Elektronik-Platten kommen.

Danke, Claas!

Charlott Tornow