„Berlin ist keine Stadt für Rock’n’Roll“ – Ein Besuch in der 8MM Bar

In der Schönhauser Allee 177b in Berlin liegt zwischen einem Getränkemarkt und einem Italiener eine unscheinbare Bar. Wer hier tagsüber vorbei geht, würde wohl keinen zweiten Blick hinter die Tür werfen.

Ganz anders nachts, wenn sich die rauchenden und trinkenden Nachtschwärmer auf die schmalen Bänke quetschen, von innen New-Wave-Musik aus den Boxen knarzt, Zigarettenqualm sich seinen Weg an die Luft bahnt und die Menschen noch schnell einen Euro Eintritt für den DJ bezahlen, um in eine Welt abzutauchen, die so gar nichts mehr gemein hat mit dem Prenzlauer Berg und die man nur noch selten in Berlin findet.

Ein paar rote Bänke stehen vor der grau-beige verschmuddelten Fassade, an den abgedunkelten Fenstern kleben ein paar Plakate. „Die 8MM Bar ist ein guter Anlaufpunkt für Leute, die sich für Musik interessieren“, sagt Inhaber Alex Konuk. Das klingt ein bisschen banal, aber es stimmt. Man kann in die Bar gehen, um einen feuchtfröhlichen Abend mit seinen Freunden zu haben; das geht hier ziemlich gut und unabhängig von der Musik. Aber die Berliner gehen hier vor allem wegen der Musik hin. Als Alex seine Bar 2002 eröffnete, tat er das vor allem, weil ihm etwas in Berlin fehlte. „Ich habe in der 90ern und 2000ern oft meine Freunde hier besucht und ich fand’s super, in einem Bunker zu tanzen. Aber ich wollte Musik hören, die mir gefällt – und das jeden Tag.“ Alex stammt ursprünglich aus Washington D.C., seine Mutter ist Deutsche, sein Vater Türke. Berlin war sowas wie seine zweite Heimat und was sowohl damals wie heute in Berlin fehlte, war ein Zufluchtsort für Menschen, die mal nicht zu Elektromusik tanzen wollten.

Whatever Happened To My Rock & Roll

In der Bar läuft „alles nach Velvet Underground“, wie Alex sagt. New Wave, (Post) Punk, Psychedelic, eben die verschiedensten Spielarten von Rockmusik. „Unsere Gäste wollen keine Songs hören, die man im Radio hört“, meint Alex. Seine Gäste kommen aus den verschiedensten Berliner Stadtteilen in den Prenzlauer Berg, bei Bands ist die 8MM Bar als Aftershow-Location beliebt. Überhaupt ist die Bar ja vor allem bekannt, weil hier kleine und neue, nationale wie internationale Bands eine sprichwörtliche Bühne bekommen und ihre Musik live präsentieren können. „Es gibt so viel Talent hier und keiner unterstützt, was wir hören möchten. Wir sind eine Stimme der Bands hier, denn Berlin ist keine Stadt für diese Art von Musik.“, sagt Alex. (Eine Geschichte über den ebenfalls „aus der Not geborenen“ aber passionierten Veranstalter Jan Lankisch findet ihr hier.)

Wer eine Band gründen möchte, sollte also definitiv in die 8MM Bar gehen und Gleichgesinnte finden. „Es ist als würde es das Geheimnis zum Erfolg sein, im 8MM zu bartendern“, meint Alex lachend. Hier hat sich die in Deutschland wenig bekannte, aber internationale ziemlich erfolgreiche Stoner Rock-Band Kadavar gegründet und die beiden Berlinerinnen Andreya und Laura der Garage-Rock-Formation Gurr, die mittlerweile als Vorband für Kraftklub spielen, haben sich hier kennengelernt. Man könnte die 8MM Bar als Talentschmiede bezeichnen, denn für Alex ist es am wichtigsten, die Szene und die Produktion von Musik zu unterstützen.

Von der Bar zum Label zur Talentschmiede

Der entscheidende Moment kam wohl 2006. Eigentlich hatte Alex nie vor, ein Label zu gründen. „Wir hatten keine Bühne und deutlich mehr Nachbarstress und das Einzige, was wir tun konnten, war die Musik [von POWERS, einer nicht mehr aktiven Berliner Band; Anm. d. Red.] zu veröffentlichen.“ 8MM Musik war geboren. Das Label veröffentlicht vor allem kleine Liebhaberprojekte des Teams und das auch immer auf Vinyl, denn in der Bar wird seit jeher auf Vinyl aufgelegt und schließlich soll die Musik auch ihren Weg zurück ins 8MM und bestenfalls auch andere Bars finden.

Die 8MM Bar ist sowas wie das zweite Zuhause und Zufluchtsort der verschmähten Berliner Rockszene. Und genau deshalb befindet sich die Bar noch immer an ihrem Standort, auch nach all den Jahren der kompletten Gentrifizierung des Prenzlauer Bergs, in dem ausgelassenes Nachtleben in den letzten zwei Jahrzehnten vor allem mit Schließung bestraft wurde. „Wir wussten nicht, ob die Bar funktioniert, weil die Ecke der Schönhauser Allee total tot war. Aber was wir machen, ist zeitlos. Dass die Leute hierherkommen wegen der Musik, das ändert sich nicht.“, sagt Alex. Und diese Passion für den Rock’n’Roll spürt man, auch wenn man nur einen flüchtigen Blick auf die grau-beige Fassade wirft.

erschienen auf vinyl.tv

Charlott Tornow